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Schicksal und freier Wille - Essay from the KARMAYOGIN   - 29 January 1910 in SABCL, Volume 2

Die Gita sagt in 18.61-62 (Die Illusion eines freien Willens)  : O Arjuna, zu der Handlung, die du aus Verblendung nicht tun willst,  wirst du durch die eigenen Neigungen angetrieben, die aus deiner eigenen materiellen Natur geboren sind. Der Höchste Herr wohnt in den Herzen aller Lebewesen, o Arjuna.Nach ihren Karmas leitet er die Wanderungen der Seelen, die auf einer Maschine aus materieller Energie sitzen. -

Eine Frage, die bisher das menschliche Denken geteilt hat und die noch keine endgültige Lösung gefunden hat, ist die Freiheit des menschlichen Wesens in seiner Beziehung zu der intelligenten oder unintelligenten Macht, die die Welt regiert. Wir kämpfen für Freiheit in unseren menschlichen Beziehungen, bewegen uns auf Freiheit als Ziel zu, und jede neue Stufe in unserem menschlichen Fortschritt ist eine weitere Annäherung an unser Ideal. Aber sind wir frei in uns selbst ? Wir scheinen frei zu sein das zu tun, was wir wählen und nicht das, was für uns ausgewählt wurde.

Aber es ist möglich, das die Freiheit illusorisch ist, und unsere augenscheinliche Freiheit kann eine wirkliche und eiserne Bindung sein. Wir können durch Vorherbestimmung gebunden sein, den Willen einer höchsten intelligenten Macht, oder an eine blinde unerbittliche Natur, oder die Notwendigkeit der eigenen bisherigen Entwicklung.

Ersteres ist die Antwort des frommen und unterwürfigen Geistes in seiner Abhängigkeit von Gott, aber, es sei denn, wir nehmen einen calvinistischen Fatalismus an, schließt  die Zulassung des führenden und überschreibenden Willen Gottes nicht die Erlaubnis der Freiheit für das Individuum aus.

Das zweite ist die Antwort des Wissenschaftlers; Vererbung bestimmt unsere Natur, die Gesetze der Natur beschränken unser Handeln, Ursache und Wirkung erzwingen den Verlauf unserer Entwicklung, und wenn darauf gedrängt wird, dass wir Effekte durch erzeugen von Ursachen festlegen können, ist die Antwort, daß unsere eigenen Handlungen von vorhergehenden Ursachen bestimmt werden, über die wir keine Kontrolle haben, und unsere Handlung ist selbst eine notwendige Antwort auf eine Stimulierung von aussen.

Das dritte ist die Antwort des Buddhisten und des nachbuddhistischen Hinduisten. "Es ist unser Schicksal, es ist auf unsere Stirn geschrieben, wenn unser Karma erschöpft ist, dann allein werden unsere Kalamitäten von uns gehen" - das ist der Geist des tamasischen Untätigkeit, die sich selbst rechtfertigt durch ein Verlesen der Theorie des Karma.

Wenn wir zurück zur wahren Hindu - Lehre unabhängig von buddhistischen Einflüssen gehen werden wir finden, daß sie uns eine Versöhnung der Streitigkeit durch eine Sicht der Psychologie des Menschen gibt, in dem sowohl Schicksal als auch Willensfreiheit anerkannt sind.

Der Unterschied zwischen Buddhismus und Hinduismus ist, dass dem ersteren die menschliche Seele nicht gilt, dem letzteren hingegen alles.
Das ganze Universum existiert im Geist, durch den Geist und für den Geist; alles was wir tun, denken und fühlen ist der Geist. Die Natur hängt vom Atman ab, alle Bewegungen, ihr Spiel, jede Handlung ist für den Atman.


Kommentar: Hier muss ich Sri Aurobindo leider etwas korrigieren: Der Buddhismus leidet nicht allgemein an tamasicher Untätigkeit - vielleicht trifft dies für einige Sekten zu. Nicht nur der Buddhismus 'mißachtet' die Prakriti und die Astralwelt sondern beispielsweise auch der Shivaismus(=Avidya, unreines Maya). Er kennt aber keinen Jivatma. Vieles ähnelt hier dem historischen Samkhya.

Äussere Randbedingungen führen nach Buddha zu Ereignissen, und das Karma wirkt sich als Kette aus - wie die Kette real funktioniert, ist leider etwas unklar.

Der verwandte tantrische Buddhismus hat dafür andere Begriffe. Er kennt auch das universelle Licht(Ösel) und den universellen Amitabha.  Das spätere tantrische System des Trikaya und die Buddhanatur beschreiben inoffiziell den hinduistischen Paramatma-Purusha, das Brahman und sein Licht, den Atman

Nach Shankara ist der Ishvara der Verteiler des Karma. Die hinduistische Moksha bedeutet nur eine scheinbare völlige Willensfreiheit, die immer noch einem viel höheren All-Willen wie der Willensmacht des Sadashiva (und noch höheren Ebenen) unterliegt..

Vom universellen Standpunkt, der auch die Einflüsse des Parabrahman oberhalb der hinduistischen Trimurti berücksichtigt, hängt sogar alles vom Adi-Dharma jenseits des höchsten hinduistischen Parabrahman ab, der das Karma bestimmt und keine Freiheit zulässt.


Es gibt kein Schicksal außer der eindringlichen Kausalität, die nur ein anderer Name für Gesetz ist, und das Gesetz ist nur ein Instrument in den Händen der Natur für die Befriedigung des Geistes. Das Gesetz ist nichts anderes als ein Modus oder eine Regel des Handelns. Es wird in unserer Philosophie nicht Gesetz sondern Dharma genannt, der zusammenhält. Es ist das, von dem die Aktion des Universums, die Handlung seiner Teile und die Handlung des Individuums zusammengehalten wird.
Diese Aktion im Universalen, die Teile, die Individuen, wird Karma genannt, Arbeit, Handlung, Spiel von Energie, und die Definition von Dharma oder Gesetz wird von der Natur der Sache entschieden in welcher die Handlung stattfindet — svabh mava-niyata karma.

Jede separate Existenz, jedes Individuum hat eine 'swabhava' oder Natur and handelt entsprechend dieser. Jede Gruppe, Spezies oder Masse von Individuen hat eine 'swabhava' oder Natur und handelt entsprechend dieser, und das Universum hat auch seine 'swabhava' oder Natur und handelt entsprechend dieser. Die Menschheit ist eine Gruppe von Individuen und jeder Mensch handelt nach seiner menschlichen Natur, das ist sein Gesetz des Seins im Unterschied zu Tieren, Bäumen oder von anderen Gruppen Einzelner.

Jeder Mensch hat einen ausgeprägten eigenen Charakter, und das ist sein Gesetz des Seins(Dharma), das ihn als Einzelperson führen sollte. Aber über und unter diesen kleineren Gesetzen ist der große Dharma des Universums, welcher dafür sorgt, dass ein bestimmtes vorheriges Karma oder eine Handlung zu einem neuen Karma bzw. zu neuen Ergebnissen führen muss.

Die ganze Kausalität kann als 'daß eine vorherige Aktion zu einer Folgeaktion führt' definiert werden, Karma und Karmaphal. Die Hindutheorie ist, dass Gedanken und Gefühle sowie die tatsächliche Sprache oder Taten ein Teil des Karma sind und Effekte schaffen, und wir akzeptieren nicht die europäische Einstellung, daß der äußere Ausdruck des Denkens und Fühlens in der Rede oder Tat wichtiger als der Gedanke oder das Gefühl an sich. Dieser äussere Ausdruck ist nur ein Teil der ausgedrückten Dinge und seine Ergebnisse sind nur ein Teil des Karmaphal. Das vorherige Karma hat nicht eine Art von Ergebnis sondern viele.

An erster Stelle produziert eine gewisse Gewohnheit des Denkens und Fühlens bestimmte Handlungen und Sprache oder bestimmte Gewohnheiten des Handelns und der Rede in diesem Leben, die sich im nächsten Leben als gutes oder schlechtes Schicksal auswirken.

Es erzeugt wiederum durch seine Wirkung für das Gute oder Schlechte Anderer eine Notwendigkeit von Glück oder Trauer für uns selbst in einer anderen Geburt. Es produziert darüber hinaus eine Tendenz zur Persistenz von dieser Gewohnheit, von Gedanken oder  Gefühlen in zukünftigen Leben, welches die Fortdauer des Glücks oder Unglücks, von Glück und Leid bringt.


Oder es erzeugt auf verschiedenen Leitungen wirkend einen Aufruhr oder eine Reaktion und den Ersatz durch entgegengesetzte Gewohnheiten, die ihrerseits entgegengesetzte Ergebnisse für gut oder böse notwendig machen. Dies ist die Kette des Karma, die Knechtschaft der Arbeiten, die des Hindu - Schicksal ist, und aus der die>Hindus Errettung suchen.

Wenn jedoch kein Entkommen aus dem Gesetz möglich ist, wenn die Natur uneingeschränkt und unerbittlich ist, kann es keine Rettung geben. Freiheit wird eine Chimäre, Knechtschaft ewig. Es kann kein Entkommen geben, es sei denn, dass etwas in uns ist, das frei und der Natur überlegen ist. Dieses Wesen der Hindu-Lehren findet man im immer freien und seligen Geist, der in der Essenz eins ist und in Wirklichkeit mit der höchsten Seele des Universums.

Der Geist handelt nicht. Es ist die Natur, welche die Handlung enthält. Wenn der Geist handelte, wäre er durch seine Handlung gebunden.

Die Sache welche handelt ist die  Prakriti, die Natur, welche das Swabhava(Essenz,Wesen) der Dinge bestimmt und die Quelle und Bedingung des Gesetzes oder Dharmas ist.

Gesetz oder Dharma.

Es ist der König, Gott oder Ishwara, ohne desse Zustimmung nichts von der Prakriti getan werden kann. Aber der König ist über dem Gesetz und frei. Es ist die Macht der Zustimmung, die die Elemente des freien Willens in unseren Leben formt.

Der Geist willigt nicht ein, daß er selbst gebunden sein soll, sondern daß sein Genuß durch Zeit, Raum und Kausalität und durch das Swabhava und das Dharma gebunden werden sollte.

Er stimmt zu Tugend oder Sünde, Glück oder bösem Vermögen, Gesundheit oder Krankheit, Freude oder Leiden zu, oder sie lehnt sie ab.

An was er gebunden ist, das vermehrt die Natur für ihn. Wessen er müde ist, hat vairaga (Wunschlosigkeit, Verhaftungslosigkeit, Leidenschaftslosigkeit, Gleichgültigeit gegenüber den Sinnesobjekten), so daß die Natur sich davon zurückzieht.

Nur weil der Genuss in Raum und Zeit ist, deshalb dauert das gewohnte Handeln auch nach dem Entzug der Zustimmung eine Zeitlang, so wie sich die Lok fortbewegt, nachdem der Dampf abgeschaltet ist, aber in einer Weile verlangsamt sie sich und kommt schließlich zum Stillstand.

Und weil der Genuß in der Kausalität liegt, ist die Entfernung der Handlungsweise nicht spontan und frei, sondern durch einen etablierten Prozess oder einen von vielen etablierten Prozessen bewirkt.

Dies ist die große Wahrheit, die jetzt in der Welt dämmert, daß der Wille das Ding ist, das die Welt bewegt und daß das Schicksal nur ein Prozeß ist, durch den Wille sich erfüllt.

Um aber ihre Herrschaft über die Natur zu fühlen, muß sich die menschliche Seele in Gemeinschaft mit dem unendlichen und universalen Geist stellen.Ihr Wille muß eins mit dem allgemeinen Willen sein.

Die menschliche Seele ist eins mit dem universellen Geist, aber im Körper steht sie als etwas Trennendes und Unverbundenes heraus, weil darin eine gewisse Freiheit erlaubt ist, damit die Swabhava(das eigene Wesen) der Dinge in verschiedenen Körpern verschiedenartig entwickelt werden kann. Bei der Verwendung dieser Freiheit kann die Seele es unwissend oder wissentlich tun. Wenn sie es unwissend nutzt, ist sie nicht wirklich frei, denn Unwissenheit bringt die Illusion der Versklavung der Natur mit sich.

Wissentlich verwendet, wird die Freiheit der Seele eins mit der Hingabe an den universalen Willen. Entweder die scheinbare Bindung an das Schicksal in der Natur oder die Verwirklichung der Freiheit von der Natur in der allgemeinen Freiheit und Herrschaft des Paramatman und Parameshwara, dies ist die Wahl, die der menschlichen Seele angeboten wird.

Die allmähliche Selbstbefreiung von der Knechtschaft zur Natur ist der wahre Fortschritt der Menschheit. Der inerte Stein oder Block ist ein passiver Sport der Naturgesetze, Gott ist ihr Meister. Der Mensch steht zwischen diesen beiden extremen Bedingungen und bewegt sich von einem zum anderen aufwärts. (Sri Aurobindo : Letters on Yoga I )


P:S: Die Freiheit als Moksha ist nur eine Befreiung aus der Maya und der Prakriti und nicht aus der Herrschaft des Paramatman, der selbst noch höheren Ebenen untersteht. Diese allgemeine Selbstbefreiung ist auch nur theoretisch möglich, d.h. praktisch nur für einen ganz kleinen Teil der Menschheit. Das noch höhere Göttliche wie der Ishvara ist nicht umgehbar :

Alles hängt von der Ebene ab, von der aus man sieht und spricht. Es gibt eine Ebene göttlichen Bewusstseins, auf der alles absolut bekannt ist und der gesamte Plan der Dinge vorhergesehen und vorherbestimmt ist. Diese Sichtweise lebt in den höchsten Bereichen des Supramentals; es ist die eigene Vision des Supreme. Aber wenn wir dieses Bewusstsein nicht besitzen, ist es sinnlos, in Begriffen zu sprechen, die nur in dieser Region gelten und nicht unsere gegenwärtige wirksame Sichtweise der Dinge sind. Denn auf einer niedrigeren Bewusstseinsebene ist nichts im Voraus realisiert oder festgelegt; alles ist im Werden begriffen. Hier gibt es keine festgelegten Fakten, es gibt nur das Spiel der Möglichkeiten; aus dem Zusammenprall der Möglichkeiten wird das realisiert, was geschehen muss. Auf dieser Ebene können wir wählen und auswählen; wir können eine Möglichkeit ablehnen und eine andere akzeptieren; wir können einem Weg folgen, uns von einem anderen abwenden. Und das können wir tun, auch wenn das, was tatsächlich geschieht, auf einer höheren Ebene vorhergesehen und vorherbestimmt worden sein mag.
Das Supreme Bewusstsein weiß alles im Voraus, weil dort in seiner Ewigkeit alles realisiert ist. Aber um ihres Spiels willen und um auf der physischen Ebene tatsächlich auszuführen, was in ihrem eigenen höchsten Selbst vorherbestimmt ist, bewegt sie sich hier auf der Erde, als ob sie die ganze Geschichte nicht kennen würde; sie arbeitet, als ob sie einen neuen und unerprobten Faden weben würde. Es ist dieses scheinbare Vergessen ihres eigenen Vorwissens im höheren Bewusstsein, das dem Individuum im aktiven Leben der Welt sein Gefühl von Freiheit, Unabhängigkeit und Initiative verleiht. Diese Dinge in ihm sind ihre pragmatischen Werkzeuge oder Geräte, und durch diese Maschinerie werden die anderswo geplanten und vorhergesehenen Bewegungen und Dinge hier verwirklicht.( The Mother : Questions and Answers 1929-1931, S.28 )