Gewidmet den Menschen wahren guten Willens

 

Startseite > Dharmatexte > Aurobindo > Spirituelle Erziehung

 

Spirituelle Erziehung

"Ein zielloses Leben ist ein elendes Leben. Von der Art und dem Wert des Zieles hängt auch der Wert des Lebens ab. Das Ziel eines spirituellell orientierten Lebens sollte hoch und weit, edel und uneigennützig sein, wodurch das Leben persönlich und für alle kostbar wird.

Vollkommenheit kann nur durch Vollkommenheit im eigenen Inneren realisiert werden. Der erste Schritt besteht darin sich seiner selbst bewusst zu werden, dh. der unterschiedlichen Seiten des eigenen Wesens und ihrer Wirkungsweisen, der Antriebe und Reaktionen und gegensätzlichen Willenstendenzen, die zum Handeln antreiben. Dazu ist eine große Aufrichtigkeit und Beharrlichkeit erforderlich.

Die Natur des Menschen besitzt ganz spontan die Tendenz, allem was er denkt fühlt und spricht eine günstige Auslegung zu geben. Neben der Arbeit der Läuterung und Zusammenfassung zur Einheit sollte auch der äußere Teil des Wesens vervollkomnet werden....."
(s.a. : Aurobindo, Bulletin of Physical education II,1950; 4 Bd. III, 1951 Nr.1-4; Band IV 1952)

Erziehung

Erziehung ist heute ein prägender Anpassungsprozess an die Umgebung und die Gesellschaft, verbunden mit einer Bildung, die nicht zu einer integralen Persönlichkeit sondern zu einer ichorientierten Person führt. Selbst eine höhere Werteordnung wird nicht allgemein anerkannt und führt nicht zu Erfolgen. Es bestehen auch Zusammenhänge mit der körperlichen und vitalen Orientierung sowie mit dem Zustand der Seele vor der Wiedergeburt auf diesem negativen Planeten.

Menschenbildung ist die Wissenschaft vom Leben. Die Erziehung sollte daher schon vor der Geburt beginnen(Selbstvervollkomnung der Eltern) und sich über das ganze Leben erstrecken. Die Natur des Kindes hängt sehr stark von der Mutter ab, die es gestaltet, ebenso von ihrer Aspiration und ihrem Willen(ihren Idealen), so wie natürlich von der Harmonie der materiellen Umgebung. Die menschliche Erziehung ist eine fünffache :

  1. körperliche Schulung(Hygiene, Ernährung, Körperpflege)
  2. vital (Entfaltung und Verwendung der Sinnesorgane; Entwicklung von Disziplin und Moral und eines gsunden und starken Charakters - und dessen Bewusstmachung und Transformation ),
  3. mental (Konzentration und Fähigkeit zur Aufmerksamkeit; Entwicklung der Fähigkeiten zur Ausdehnung, Ausweitung, Komplexheit und Reichhaltigkeit ; Organisation der Ideen um eine Zentralidee, ein höheres Ideal, als Leitstern für das Leben; Beherrschung des Denkens und Zurückweisung unerwünschter Gedanken zwecks Denkens was man will; Entwicklung des mentalen Schweigens, der völligen inneren Stille und einer umfassenden Empfänglichkeit für Inspirationen aus eben jenen Bereichen des Wesens)
  4. psychisch(Wahrheit des individuellen Wesens als eine der einzigartigen aber unzählbaren geoffenbarten Möglichkeiten des universalen Bewusstseins; Bewusstwerdung und Unterwerfung des persönlichen Willens)
  5. spirituell(mit der vollkommenen Hingabe des Ich an das höchste Sein als wichtigstem Ausgangspunkt und der sichersten Methode).

 

Als göttlich-gnostische Methode bietet sich danach auf der Basis des Erreichten die Transformation mit Hilfe der göttlichen Kräfte an, die nicht mehr eine fortschreitende Umgestaltung sondern eine Transfiguration der Natur als solcher, des Seins in seiner Totalität ist, und die schliesslich einmal zum Hervortreten einer göttlichen Menschheitsgruppe auf der Erde führen wird.
Dazu weiter in "Aurobindo : Bulletin of Physical Education : II 1950,Nr.4 Band II; 1951 Nr. 1-4 und Band IV, 1952 Nr.1"


Die Musterschule in Auroville
"Wenn wir hier eine Schule haben, muss sie anders sein als die Millionen Schulen in der Welt. Es muss den Kindern die Möglichkeit geboten werden, zwischen dem gewöhnlichen Leben und dem göttlichen Leben, dem Leben der Wahrheit, zu unterscheiden, die Dinge anders zu sehen. Es ist zwecklos, hier das gewöhnliche Leben wiederholen zu wollen. Die Lehrer haben die Aufgabe, den Kindern die Augen zu öffnen für etwas, das sie sonst nirgends finden würden." (Die Mutter, Gespräche 21.12.1950 , Bull. Nov. 1962)

"Die Entdeckung daß Erziehung das bestmögliche Herausarbeiten der dem Kind eigenen intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten bedeutet und auf der Psychologie der kindlichen Natur aufgebaut werden muß, war ein Fortschritt zu einem gesünderen weil subjektiveren System, mußte aber noch versagen, weil das Kind noch als ein Gegenstand betrachtet wurde, der vom Lehrer behandelt und geformt, dh. erzogen werden muß.
Zumindest aber bedeutet es ein Aufglimmen der Erkenntnis, daß jedes menschliches Wesen eine sich selbst entwickelnde Seele und daß es Aufgabe der Eltern und Lehrer sein muß, dem Kind zu helfen und es zu befähigen, sich selbst zu erziehen, seine eigenen verstandesmäßigen, moralischen, ästhetischen und praktischen Fähigkeiten zu entwickeln und sich als organisches Wesen frei auszuwachsen, anstatt einer trägen Massen gleich geknetet und gepreßt zu werden,...." (Sri Aurobindo : Human Cycle - Der Zyklus der menschlcihen Entwicklung)

Die wahre Grundlage für die Erziehung ist das Studium des menschlichen Geistes im Alter des Kindes, des Heranwachsenden und des Erwachsenen....
....Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das gegenwärtige Erziehungssystem Europas einen großen Fortschritt über die vielen Methoden des Altertums darstellt. Seine Schwächen sind aber handgreiflich. Es gründet sich auf eine unzulängliche Kenntnis der menschlichen Psychologie. In Europa wird es nur dadurch vor verhängnisvollen Ereignissen bewahrt, daß sich der gewöhnliche Schüler weigert, sich den darin enthaltenen Methoden unterzuordnen, und sich daran gewöhnt hat, nur so viel zu studieren, wie er muß, um eine Strafe zu vermeiden oder eine bevorstehende Prüfung zu bestehen...
In einem nationalen Erziehungssystem ist es das erste Problem, eine ebenso umfassende und noch gründlichere Erziehung wie die europäische zu geben, aber ohne deren Schattenseiten der Überanstrengung und Paukerei. Das kann man aber nur tun, wenn man die Werkzeuge der Erkenntnis studiert und eine Lehrmethode findet, die natürlich, leicht und wirkungsvoll ist. Diese Instrumente können nur dadurch für die von den modernen Verhältnissen erforderte vemehrte Arbeitsleistung fähig gemacht werden, daß man sie bis zu ihrem äußersten Vermögen kräftigt und schärft. Die Muskeln des Mentalen müssen durch einfache und leichte Mittel gründlich trainiert werden. Dann erst kann man von ihnen große Leistungen an intellektueller Kraft erzeugen. (Das menschliche Mentale; Sri Aurobindo and the Mother "On Education", 1960)

Das erste Prinzip des wirklichen Lehrens heißt : Es kann nichts gelehrt werden. Der Lehrer ist kein Instruktor und kein Pauker. Er ist ein Helfer und ein Wegweiser. Sein Beruf besteht darin, daß er anregt und nicht aufzwingt. Tatsächlich trainiert nicht er das Mentale des Schülers, sondern er zeigt ihm nur, wie er selbst seine Instrumente der Erkenntnis vervollkomnet, und er unterstützt und ermutigt ihn bei diesem Vorgang. Er teilt ihm kein Wissen mit , sondern er zeigt ihm, wie er sich selbst Wissen erwerben kann. Er ruft das Wissen, das im Inneren ist, nicht hervor. Vielmehr zeigt er ihm, wo es liegt und wie es daran gewöhnt werden kann, an die Oberfläche zu kommen. Die Einschränkung, die dieses Prinzip nur für die Heranbildung von Heranwachsenden und Erwachsenen vorbehält und seine Anwendung beim Kind ablehnt, ist eine konservative und unintelligente Lehre. Ob Kind oder Mann, Knabe oder Mädchen. Es gibt nur ein einziges gesundes Prinzip guten Lehrens. Der Altersunterschied dient dazu, das nötige Maß von Hilfe und Führung zu vermindern oder zu vermehren. Er verändert aber nicht seine Natur.

Das zweite Prinzip heißt, daß das Mentale bei seinem eigenen Wachsen zu Rate gezogen werden muss. Der Gedanke ist ein barbarischer und ignoranter Irrglaube, die Eltern oder der Lehrer könnten das Kind zu der von ihnen gewünschten Gestalt zurechthämmern. Vielmehr muss man das Kind selbst dazu anleiten, sich im Einklang mit der eigenen Natur auszuweiten. Es kann keinen größeren Irrtum geben als den, die Eltern könnten im voraus festlegen, daß ihr Sohn bestimmte Eigenschaften, Befähigungen, Ideen und Tugenden entwickeln soll. Wenn man die Natur zwingt, ihr eigenes Dharma(inneres Gesetz) aufzugeben, fügt man ihr einen dauernden Schaden zu. Man verstümmelt ihr Wachstum und entstellt ihre Vervollkomnung. Das ist eine egoistische Tyrannei über eine menschliche Seele und eine Verwundung der Natur. Denn diese verliert dadurch den Nutzen am Besten, was ein Mensch ihr hätte geben können. Stattdessen muss sie etwas Unvollkommenes, Künstliches, Zweitrangiges, Unbedeutendes oder Gewöhnliches annehmen. Jeder trägt etwas Göttliches in sich, etwas ihm allein Eigenes. Er hat eine Möglichkeit zur Vervollkomnung und Kraft, wenn aucheight="10" src="./userfiles/images/qa3.jpg" width="10"> Das dritte Prinzip der Erziehung heißt, daß man vom Nahen zum Fernen hinarbeitet, von dem was ist, hin zu dem , was werden soll. Die Grundlage der Natur eines Menschen ist fast immer, neben der Vergänglichkeit seiner Seele, seine Vererbung, seine Umgebung, seine Nationalität, sein Land, der Boden, aus dem er seinen Unterhalt zieht, die Luft, die er atmet, was er sieht und hört, die Gebräuche, an die er gewöhnt ist. Sie wirken an seiner Gestaltung nicht weniger machtvoll, weil sie unmerklich wirken. Von ihnen müssen wir also ausgehen. Wir dürfen die Natur nicht mit den Wurzeln aus dem Erdboden herausreißen, in dem sie wachsen muß. Wir dürfen auch das mentale nicht mit Bldern und Ideen eines Lebens umgeben, das dem fremd ist, in dem er sich körperlich bewegen muß.
Wenn etwas fremdartiges an das Mentale herangebracht werden muü, dann soll es ihm angeboten aber nicht aufgezwungen werden. Die Voraussetzung für eine echte Entwicklung ist ein freies und natürliches Wachsen. Es gibt Seelen, die sich ihrer Natur nach gegen ihre Umgebung aufbäumen. Es scheint, als ob sie einem anderen Zeitalter oder Klima angehören. Man lasse sie frei ihrer Eignung folgen. Die meisten Menschen verkümmern aber, sie werden leer und verkünstelt, wenn sie künstlich in eine ihnen fremde Form geprägt werden. Gott hat es so gefügt, daß die Menschen einer bestimmten Nation, Epoche und Gesellschaft angehören, daß sie Kinder der Vergangenheit, Besitzer der Gegenwart und Schöpfer der Zukunft sein sollen. Die Vergangenheit ist unser Fundament, die Gegenwart unser Material, die Zukunft unser Ziel und Gipfel. Jeder einzelne muss seinen ihm zustehenden natürlichen Platz in seinem nationalen Erziehungssystem haben.  

Die Kräfte des Mentalen

Das Instrument des Erziehers ist das Mentale(anthakarana). Es besteht aus vier Schichten. Die Grundlage, auf der alle anderen Schichten ruhen, ist das Sammelbecken der vergangenen mentalen Eindrücke, das Lagerhaus des Gedächtnisses(citta), das vom besonderen Akt, sich zu erinnern, unterschieden werden muss. Jede Erfahrung liegt in unserem Inneren als ein passives oder potentielles Gedächtnis. Die aktive Erinnerung wählt aus und nimmt, was sie braucht, aus jenem Lagerhaus.

Die zweite Schicht ist das eigentliche Mentale(manas), der sechste Sinn unserer indischen Psychologie.

Die dritte Schicht ist der Intellekt(buddhi), der das wirkliche Instrument des Denkens ist und das ist, was das Wissen ordnet und verwendet, das durch die anderen teile der Maschine erworben wird.

Es gibt noch eine vierte Schicht der Befähigung, die zwar im Menschen noch nicht vollständig entfaltet ist, aber stufenweise eine immer weitere Entwicklung und immer vollkommenere Evolution erlangt. Die dieser höchsten Schicht des Wissens angehörigen Kräfte sind uns hauptsächlich vom Phänomen des Genies bekannt : Souveräne Urteilskraft, intuitive Erfassung der Wahrheit, reiche Fülle der Inspiration der Rede, direkte Wissensschau in einem Mass, das sich oft bis zur Offenbarung erhebt und einen Menschen zum Propheten der Wahrheit macht. Diese Vermögen sind in ihrer höheren Entwicklung selten, wenn auch viele Menschen sie unvollkommen oder in blitzartiger Erleuchtung besitzen......

Die moralische Natur

In dem organischen System des Menschen beruht die mentale Natur auf der moralischen. Für den menschlichen Fortschritt wirkt darum eine Erziehung des Intellekts, die von der Vervollkomnung der moralischen und emotionalen Natur getrennt ist, nur schädlich. Während es aber leicht ist, eine Art Lehrplan oder Ausbildungsschema aufzustellen, das gut für das Training des Mentalen ausreicht, hat man es doch noch nicht fertiggebracht, eine unter modernen Verhältnissen geeignete moralische Ausbildung für Schule und Hochschule zu erarbeiten. Es ist ein vergebliches Bemühen und eine Selbsttäuschung, wenn man versucht, die Schüler dadurch moralisch und religiös zu machen, daß man aus moralischen und religiösen Textbüchern lehrt, und zwar gerade aus dem Grund, weil das Herz nicht der Verstand ist, und weil die Belehrung des Verstandes auf das Herz nicht notwendigerweise eine bessernde Wirkung auslöst. Es wäre irrig zu sagen, daß sie keine Wirkung hätte. Sie streut eine gewisse Gedankensaat in das passive Gedächtnis hinein. Wenn diese Gedanken zur Gewohnheit werden, beeinflussen sie die Lebensführung. Die Gefahr der moralischen Lehrbücher besteht jedoch darin, daß sie das Denken erhabener Dinge zu etwas Mechanischem und Künstlichen machen. Was aber mechanisch und künstlich ist, das ist für immer wirkungslos.

Wenn man es mit der moralischen Natur des Menschen zu tun hat, sind drei Dinge von äußerster Wichtigkeit : seine Gefühle, seine festgeformten Gewohnheiten und Assoziationen(samskara) und seine Natur(svabhava). Der einzige Weg, wie er sich selbst moralisch ausbilden kann, besteht darin, daß er sich selbst an die richtigen Gefühle, an die edelsten Gedankenreihen, an die besten mentalen, emotionalen und körperlichen Gepflogenheiten gewöhnt und im richtigen Handeln die fundamentalen Impulse seiner wesenhaften Natur verwirklicht.
Man kann Kindern eine Disziplin auferlegen, sie in eine gewisse Modellform kleiden, sie mit der Peitsche auf einen gewünschten Weg treiben.... Wenn man aber ihr Herz und ihre Natur nicht auf seine Seite bekommen kann, wird ihre Fügsamkeit in diese aufgezwungene Ordnung heuchlerisch und herzlos. Sie wird zu einer konventionellen und oft feigen Willfährigkeit. Das geschieht in Europa und führt zu jener merkwürdigen Erscheinung, daß man sich erst die "Hörner abstoßen" muss, sobald man das Joch des Disziplin in Schule und Elternhaus abgeworfen hat. Ferner kommt daraus die gesellschaftliche Heuchelei, die eine so weitverbreitete Erscheinung des europäischen Lebens ist.
Nur das, was ein Mensch bewundert und als eigen annimmt, wird zu einem Teil von ihm selbst, das Übrige ist Maske. Er paßt sich an die Disziplin der Gesellschaft ebenso an, wie er sich an die moralische Routine von Elternhaus und Schule anpasste. Er betrachtet sich aber darin frei, daß er sein wirkliches inneres und privates Leben nach seinen Neigungen und Leidenschaften lebt. Andererseits führt es zum Verderben der Menschheit, wenn man die moralische und religiöse Erziehung überhaupt vernachlässigt.
Die bekannte moralische Verderbnis unserer jungen Menschen in der Zeit, bevor sie zu ihrem Heil von der Svadeshi-Bewegung ergriffen wurden, war das direkte Ergebnis der rein mentalen Instruktion, die ihnen unter dem englischen Erziehungssystem gegeben worden war.
Wie bei der Erziehung des Mentalen ist es auch bei der Erziehung des Herzens die beste Methode, das Kind auf den richtigen Weg zu seiner Selbstvervollkomnung zu führen, es zu ermutigen, darauf weiterzugehen, es zu beobachten, anzuregen, ihm zu helfen, - aber nicht einzugreifen.
.....
Die erste Regel für eine moralische Bildung ist : anregen und einladen, nicht kommandieren und aufzwingen. Die beste Methode der Anregung geschieht durch das persönliche Vorbild, das tägliche Gespräch und die Tag um Tag gelesenen Bücher. Diese Bücher sollten für die jüngeren Schüler die erhabensten Vorbilder der Vergangenheit enthalten. Sie sollten aber nicht als moralische Lektionen sondern als Beispiele von höchstem menschlichen Interesse gegeben werden. Für die älteren Schüler sind es dann die großen Gedanken hervorragender Seelen, Abschnitte aus der Literatur, die seine höchsten Gefühle entzünden und die erhabensten Ideale und Strebungen in ihm wachrufen.......Sie bilden eine Art guter lebendiger Kameradschaft(satsanga), die ihre Wirkung solange kaum verfehlen kann, als man das lehrhafte Predigen vermeidet.
....
Ich habe von der Moral gesprochen. Es ist auch nötig, auch ein Wort über die religiöse Belehrung zu sagen. Hier herrscht die eigenartige Vorstellung, man könne Kinder fromm und moralisch machen, indem man sie die Dogmen der Religion lehrt. Das ist ein europäischer Irrtum. Die Praxis führt entweder zu einer mechanischen Annahme eines Bekenntnisses, das dann auf das innere Leben keine und auf das äußere Leben nur eine geringe Wirkung ausübt, oder sie schafft den fanatiker, den pietisten, den Befolger äußerer riten oder den salbaderischen Heuchler. Religion sollte gelebt und nicht als eine Glaubenlehre gelernt werden.

Sich der verschiedenen Bewegungen in sich bewußt zu werden, sich Rechenschaft darüber abzulegen, was man tut und warum man es tut - das ist der unerläßliche Ausgangspunkt. Man muß das Kind daran gewöhnen, seine Reaktionen, seine Triebe und ihre Ursachen zu beobachten und ein achtsamer Zeuges seiner Gelüste zu werden, seiner Regungen der Ungeduld und des Jähzorns, seines Triebes, alles an sich zu reißen, zu besitzen und zu beherrschen und schließlich sich der im Hintergrund lauernden Selbstliebe bewußt zu werden, auf die sich alle diese Bewegungen stützen, verbunden mit einer Gegenbewegung der Schwäche, der Entmutigung, der Depression und der Verzweiflung. Ganz offensichtlich muß zum erfolgreichen Abschluß zur gleichen Zeit wie die Beobachtungsgabe wächst auch der Wille zum Fortschritt bzw. zur Vervollkommung wachsen. Dieser Wille muß dem Kind eingeflößt werden, sobald es fähig ist, einen Willen zu haben, dh. viel früher als man allgemein annimmt. Um diesen Willen zum Siegen und zum Überwinden zu erwecken, gibt es verschiedenen Wege. Bei manchen Kindern sind Vernunftsgrünge wirksam, bei anderen muß man an den Guten willen und die Gefühle appelieren, bei anderen wiederum an die Würde und Selbstachtung. Für alle ist das unablässige und ehrlich gegebene Beispiel das machtvollste Mittel.....

Ob nun aber irgend eine Form von Religion übermittelt wird oder nicht, so muß doch in jeder Schule, die sich eine nationale Schule nennt, das Wesen der Religion zum Ideal gemacht werden, für Gott, für die Menschheit, für das Land, für die anderen, und in dem allem für sich selbst zu leben. Dieser Geist des Hinduismusses sollte unsere Schulen durchdringen. Er sollte in ihnen das Wesenstlichste sein. Er sollte sie von allen anderen Schulen unterscheiden. Das ist viel wichtiger als das Lehren von indischen Lehrstoffen, die Anwendung von indischen Methoden oder der formelle Unterricht in Hindu-Glaubenslehren oder heiligen Schriften des Hinduismusses.

* Literatur.: N. C. Dowsett : Psychologie der zukünftigen Erziehung , 1981, ISBN 9783921474471

Sri Aurobindo zur modernen Gesellschaftsentwicklung in Indien

Der Niedergang einer Gesellschaft, die den Lebensfaden – und damit die Erneuerung – verloren hatte, hatte begonnen. Intellektuelles und künstlerisches Streben, die wissenschaftliche und kritische Intelligenz, Kreativität und Intuition wurden betäubt. Soziale Funktionen wurden künstlich und der Dharma so streng, dass er die Freiheit der spirituellen Suche behinderte; Moksha (Befreiung) wurde im Gegensatz zur Heiligkeit des Lebens gesucht. Teilwahrheiten wurden verstärkt, andere geleugnet, die große spirituelle Synthese schwand. Als das britische Empire die Macht übernahm, war nicht viel übrig von einer Gesellschaft, die zwei Jahrtausende lang auf der Grundlage intuitiver Demokratie und Selbstverwaltung als Dharma geführt wurde, die als Streben nach Selbstvervollkommnung aller Klassen der Gesellschaft gedacht war. Die Tore für eine ausländische Invasion waren vollständig geöffnet.....